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Spielregeln des Friedens 2.0?

Erstellt am 07.12.2009 von Andreas Hermann Landl
Dieser Artikel wurde 2969 mal gelesen und am 07.12.2009 zuletzt geändert.

http://www.transcript-verlag.de/ts1175/ts1175g.jpgUtta Isop, Viktorija Ratkovic, Werner Wintersteiner (Hg.)

Spielregeln der Gewalt

Kulturwissenschaftliche Beiträge zur Friedens- und Geschlechterforschung

Juni 2009, 290 S., kart., 28,80 €
ISBN 978-3-8376-1175-5
Reihe Kultur & Konflikt


Zentrale Begriffe:

Gewalt, Kultur, Konflikt, Friedensursachen

Adressaten:
Kulturwissenschaften, Friedensforschung, Frauen- und Geschlechterforschung, Soziologie, Politik, Medienwissenschaften

Konstruktive Buchkritik

Vorneweg, ich schätze den Mitherausgeber Werner Wintersteiner, den ich seit Jahren persönlich kenne, sehr und lege die Lektüre dieses Buches allen ans Herz. Was nun folgt soll im Wissen gelesen werden, dass meine Anmerkungen in Wohlwollen und Dank eingebettet sind.

Das Cover ist dominiert vom Titel „Spielregeln der Gewalt“ in blutroter Schrift, ein Krimi? Nein der Untertitel klärt auf: „Kulurwissenschaftliche Beiträge …Friedens- und Geschlechterforschung“. Kein Kettensägenmassaker, keine ultimative SM-Regieanleitung, sondern Friedens- und Geschlechterforschung ego-Shooter-Generationsgericht verpackt. Ich fürchte allerdings die Kids werden das Buch trotzdem nicht kaufen und schon gar nicht lesen. Es ist wohl eher ein Buch für Friedensforsche_innen in den besten Jahren oder für hochmotivierte Newbies in der Branche.

„Lasst euch nicht von den Eigenen täuschen“

Wilfried Graf einer der Mitautoren des Sammelbandes hat mir kürzlich ein Exemplar des Buches zur Rezension geschenkt. Sein Beitrag verspricht eine „kritisch-konstruktives weiterdenken von Johan Galtungs Gewalt- und Friedenstheorie“. Hocherfreut mache ich bei erster Gelegenheit an die Lektüre des einführenden Beitrages der Herausgeber_innen. Nach der ersten Irritation über das kunstvolle Anti-GEWALT-Cover lese ich in der Einleitung der Herausgeber_innen :

»Kultur der Gewalt« steht somit für ein Bündel von Faktoren, die man auch als »zweite Natur« des Menschen bezeichnen könnte, da sie in der gesamten bekannten Periode der menschlichen Geschichte anzutreffen sind.Während aber die »erste Natur«, unsere biologische Grundlage, vorgegeben ist und sich nur in unendlich langen Zeiträumen und in nur sehr geringem Maße wandelt, ist diese »zweite Natur« ein menschliches, ein gesellschaftlich-historisches Produkt. Es erscheint dem Einzelnen zwar als oft ebenso unveränderlich wie die Natur, kann aber durch bewusste Anstrengungen der organisierten Menschheit oder (in kleinerem Maßstab) durch das Engagement von Einzelnen oder von Gruppen beeinflusst werden. »Kultur der Gewalt« ist somit nicht das Forschungsfeld der Biologie, sondern der historischen Anthropologie, der Geschichts- und der Kulturwissenschaften.“

  • Gewalt ist doch das Gegenteil von Kultur?
  • Gewalttäter_innen halten sich doch nie an Spielregeln?
  • Ist das nicht der Clou an der Gewalt?
  • Spielregeln gehören doch zu den Kulturen der Frieden?

Kultur der Gewalt sei für die gesammte bekannte Geschichte der Menschheit anzutreffen?

Seit 1987 gibt es, zum Beispiel, seitens der feministischen Kulturanthropologin Riane Eisler massive publizierte Zweifel an dieser Behauptung. Die Archäeologin Gimbutas hat diesen Mythos, der mit patriarchaler Gewalt in Umlauf gebracht wurde, bereits einige Jahre früher massiv angekrazt.

Ringen um Erklärungen?

  • Da scheint die Genderforschung an der Uni Klagenfurt noch sehr in den Kinderschuhen zu stecken, wenn solche Sätze in der Einleitung eines Grundsteines für ein neues Forschungsprojekt – ohne jeglichen Zweifel – Eingang finden.Oder,
  • es handelt sich einfach um einen Ausrutscher eines Netzwerks, das noch um seine Qualitätskontrolle ringt oder
  • um eine kulturelle Gewohnheit, geronnene kulturelle Gewalt, der sich auch Gender und Friedensforscher_innen nicht ohne weiteres entziehen können.

Die Macht des Schwertes hinter federschwingenden Patriarchen hat anscheinend fast alle Beweise einer friedlichen Kultur vor Entstehung des Patriarchats ausgelöscht. So gründlich, dass nicht einmal postmodern sanft aufgeklärte kritische Herausgeber_innen die Mähr – von der Gewalt in der ganzen bekannten Geschichte – im 21. Jahrhundert in Zweifel ziehen.

Auch die Biologie und Organisations-Annahmen, die in diesen wenigen Worten zu Papier gebracht wurden, sind glücklicher Weise nicht in vollem Umfang haltbar.

  1. Einzelne Menschen, wie Rosa Parks oder Gandhi, konnten sehr wohl sehr viel in Gang bringen, wenn sie an einem oder mehreren springenden Punkten des Systems ansetzen.
  2. Die Genetik der Menschen und Tiere ist, wie die Erkenntnisse der Epigenetik zeigen, viel variabler als bequeme Neokonservative uns weismachen wollen. Auch die alte Evolutionstheorie kommt glücklicher Weise im Darwin Jahr wissenschaftlich in grundlegende und ernste Nöte, denn zentrale Annahmen – wie der Kampf egoistischer Gene – werden von echten Genetikforschern klar falsifiziert.
  3. Kooperation hat viel mehr zur Evolution beigetragen als für sozialdarwinistische Theorien gut ist.

Ansonsten geht es in der Einleitung mit dem „Gegenbegriff“ der „Kultur des Friedens“ durchaus auf der Höhe der Zeit weiter. Auch der Hinweis auf den laufenden „cultur“  und „linguistic turn“ in der Friedens- und Sozialforschung ist durchaus verdienstvoll und konstruktiv-kritisch bemerkenswert. Besonders mag ich das neben den traditionellen Verwirrungen um die Spielregeln der Gewalt eigentlich „Friedensursachenforschung“ beabsichtigt ist.

Das Buch ist sicher lesenswert und eine Fundgrube für alle die sich nicht von den eigen täuschen lassen wollen. Schade, dass ich am Dialog zur Selbst-Enttäuschung nicht noch professioneller teilnehmen kann. Aber es hat auch seine Vorzüge ohne die Scheuklappen des Universitären Systems zu lesen, zu forschen und schreiben zu können – was diese kurze Rezension für mich wieder einmal beweißt.

Die These, dass das Neolitikum eine Friedenskultur hatte, die zerstört und erste wiederentdeckt und wieder mit friedlichen Mitteln erkämpft werden müsste, klingt zu schön um wahr zu sein für seit 6000 Jahren mit personaler, struktureller und kultureller Gewalt zugerichte Menschen.

Auch wenn ich vieles im Buch kritisch-konstruktiv hinterfrage halte ich das Buch für absolut lesenswert.

Vielleicht wäre die Friedensforschung auch radikal konstruktiv neu zu erfinden. Meine selektive, bewusste Gewaltausblendung mit Hilfe der Friedensbrille ist ja recht fruchtbar. Ich sehe eine hoffnungsvollere Zukunft der Friedensforschung in der aktiven utopischen Friedenspraxis der Zunft. Galtung 2.0 hat folgende Programm-Pakete:

  1. Persönliche Frieden für alle Lebewesen
  2. Strukturelle Friedensorganisation
  3. Kulturen der Frieden

Was sagt der Verlagstext

  1. Wie viel Kultur steckt in Konflikten?
  2. In welchem Zusammenhang stehen etwa Geschlechterverhältnisse, patriarchale Herrschaft, mediale Manipulation und kulturelle Gewalt?
Dieser Band fragt nach
  • dem Anteil kultureller Aspekte bei der Entstehung und (gewalttätigen) Austragung von Konflikten.
  • In den Beiträgen, die im interdisziplinären Forschungsnetzwerk »Kultur & Konflikt« (Klagenfurt) entstanden sind, nimmt der Terminus »Kultur des Friedens« die Rolle einer konkreten Utopie ein – visionär genug, um ein großes, längerfristiges Ziel abzugeben, und konkret genug, um sich ihm in messbaren Schritten zu nähern.
Utta Isop (Mag.a phil.) lehrt Frauen- und Geschlechterstudien an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.
Viktorija Ratkovic (Mag.a phil.) ist die Geschäftsführerin des Zentrums für Frauen- und Geschlechterstudien an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.
Werner Wintersteiner (Univ.-Prof. Dr. phil.) ist Leiter des Zentrums für Friedensforschung und Friedenspädagogik an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.

Links zu den Herausgeber_innen

 

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