friedensnews.at
Stellt die Friedensfragen!

Pax Christi Deutschland zur EU-Wahl

Erstellt am 06.06.2009 von Andreas Hermann Landl
Dieser Artikel wurde mal gelesen und am 06.10.2009 zuletzt geändert.

http://www.imi-online.de/bildpool/EU-Bilanz-Cover1.jpgEU-Politik und EU-Vertragsprozess – friedenspolitische Problemanzeige zur EP-Wahl 2009 pax christi /Deutsche Sektion – Kommission Friedenspolitik1. Manifeste Militarisierung:pax christi beobachtet  eine seit Ende der 1990er Jahre rasant fortschreitende, insbesondere durch Rat und Kommission zu verantwortende Militarisierung der Europäischen Union. Diese soll zudem quasiverfassungsmäßigfestgeschrieben werden.
Stichworte dazu:

  1. kontinuierliche Aufrüstung und Verpflichtung dazu,
  2. transnationale Verteidigungs- bzw. Rüstungsagentur,
  3. Eingreiftruppen und Kampfgruppen für weltweite Kampfeinsätze,
  4. „Ständige Strukturierte Zusammenarbeit“ eines „Kerneuropa“ in militärpolitischen Belangen, EU-eigener Militärhaushalt („Anschubfonds“),
  5. EU-Militärgremien und Führungsstäbe,
  6. Bindung an das Interventions- und Kriegsbündnis NATO, etc.

Zwar ist noch immer von einer „Zivilmacht“ oder gar „Friedensmacht“ Europa die Rede und man rühmt sich weiterhin – in Abgrenzung von den militärmachtpolitischen Traditionen anderer Weltregionen – aus historischer Erfahrung in Sachen militärischer „Machtprojektion“ vernünftig geworden zu sein. Die erwähnten Tatbestände aber sprechen eine andere Sprache. Der fragliche Formelgebrauch läuft demnach nur auf ein neues Kostüm für den, aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hinlänglich bekannten, „ethischen Imperialismus“ hinaus. Als besonders beunruhigend ist zu registrieren, dass vor allem in der auslaufenden Legislaturperiode die Mehrheit der EUAbgeordneten die militärpolitischen Ambitionen der Exekutive und zahlreicher Thinktanks mit getragen hat. Dagegen bestand – und war in der „Charta von Paris für ein neues Europa“ im Ansatz auch aufgegriffen worden – nach 1989 die Chance nachhaltiger Rüstungskonversion und einer weltweiten Organisierung „gemeinsamer Sicherheit“. Aufrichtiger Wille zu Koexistenz und gerechtem Teilen der Ressourcen machen militärische Macht überflüssig. Ein einschneidender Rückbau des Militärischen würde Mittel freisetzen für eine genuin friedensorientierte und zukunftsfähige Ausrichtung der EU-Außenpolitik.2. Nuklearpolitik:In enger Beziehung zur Militarisierungsproblematiksteht die unklare Regelungdes Verhältnisses der EU zur Nuklear-Technologie.Mit der Integration des EURATOM-Vertrags von1957 in den Lissabonvertrag wird an einer starkenzivilen Atommacht Europa festgehalten. Wie sichaber militärische und zivile Nutzung der Kernkraftgegenseitig bedingen, ist längst bekannt und z.Z. imStreit um das iranische Atomprogramm gleichsam“mit Händen zu greifen“. Mit Großbritannien und Frankreichsind zudem zwei „anerkannte“ Atommächte EUMitgliedstaatenund damit Träger der europäischen Sicherheits-und Verteidigungspolitik (ESVP), die so wenigwie alle übrigen ernsthaft daran denken, ihrer Abrüstungs-Verpflichtung aus dem Atomwaffensperrvertragnachzukommen. Und schließlich wird durch die Bindungan die NATO und über die NATO an die AtomsupermachtUSA das Problem der „nuklearen Teilhabe“ mehrereranderer EU-Mitgliedstaaten – nicht zuletzt Deutschlands- akut. Soll die Abrüstungs-Vision des neuen USPräsidentenObama nicht eine schöne Vision bleiben,müssen sich die demokratisch am direktesten legitimiertenMandatsträger/innen der EU – die Mitglieder des EUParlaments- entschieden für die Beseitigung aller Massenvernichtungswaffenauf europäischem Boden einsetzten- einschließlich der französischen und britischenKernwaffen und Trägersysteme.3. Demokratiedefizite/Macht-Ungleichgewicht:Zahlreiche gravierende Demokratiedefizite im EUSystemund Aspekte eines gestörten, bzw. fehlendenMachtgleichgewichts wurden vielfach beschrieben undanalysiert. Diese Mängel werden durch den Reformvertragtrotz geringfügiger demokratiepolitischer Konzessionenkeineswegs behoben. So erfolgt insbesondere dieEU-Gesetzgebung nach wie vor im Wesentlichen amEU-Parlament vorbei; es hat weiterhin kein Recht zuGesetzesinitiativen. Durch ein Mischmodell der Zuständigkeitenvon Parlament, Europäischem Rat, Ministerratund Kommission wird der demokratische Grundsatz derGewaltenteilung (zwischen Legislative und Exekutive)weitgehend ignoriert. Vor allem aber hat das Parlamentkeine Mitentscheidungsrechte in außen- und militärpolitischenFragen. Ebenso bleibt dem Europäischen Gerichtshofdie Zuständigkeit für sämtliche Bereiche derAußen- und Sicherheitspolitik verwehrt. Damit hat inFragen von Krieg und Frieden die (demokratisch nursehr indirekt legitimierte) EU-Exekutive allein das Sagen.Aber nur wenn das Parlament uneingeschränkteGesetzgebungskompetenz und insbesondere in friedensundsicherheitspolitischen Fragen Kontrollmacht gegenüberder Exekutive besitzt, kann in einer „GemeinsamenAußen- und Sicherheitspolitik“ der Union der Friedenswilleder europäischen Bevölkerung zur Geltung kommen.4. Neoliberales Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell:Die zum Verfassungs- bzw. Reformprozess parallelverlaufende „Lissabonstrategie“ ist darauf angelegt, dieneoliberal-marktwirtschaftliche Ausrichtung der Unionzu optimieren und auf diesem Wege die EU zurmächtigsten Wirtschaftsmacht zu machen. Ebensoist der Reformvertrag Ausdruck einer Gesellschaftskonzeption,die alle Lebensbereiche einemneoliberalen Regime unterzuordnen sucht. Zugleichwird damit deren Implementierung betrieben. ImBesonderen räumt der Reformvertrag der unternehmerischenFreiheit Vorrang ein. Dies geht aufKosten der Sozialpflichtigkeit des Eigentums, desRechts auf menschenwürdige und existenzsicherndeArbeitsverhältnisse sowie des Anspruchs auf partizipatorischeGestaltung auch des Wirtschaftslebens.Die neoliberale Wirtschaftsform gehtseit Jahrzehnten einher mit einer Verarmung weiterTeile der Bevölkerung innerhalb der EU, mit Entsolidarisierungund zunehmender Spaltung der europäischenGesellschaften in integrierte – sprich:funktionierende – Bevölkerungsteile und in ausgegrenzte,“überflüssige“. Dazu passt, dass die Sozialpolitikder einzelnen Mitgliedstaaten als einer derwenigen Sektoren nicht einer europäischen Harmonisierungunterworfen wird, so dass in der Binnenkonkurrenzum Standortvorteile einem SozialdumpingTür und Tor offen stehen. Demgegenüberzeichnet sich – in Zeiten vermeintlicher, realer oderauch inszenierter „terroristischer Bedrohungen“ -eine „Versicherheitlichung“ des gesellschaftlichenLebens ab. Unverkennbar sind die Tendenzen, dieBefugnisse des Militärs bei innerstaatlichen Spannungenund Konflikten auszuweiten.Im Hinblick auf die wirtschaftspolitischen Außenverhältnisseder EU wird im Kontext der aktuellenglobalen Finanz- und Wirtschaftskrise die grundlegendeAbhängigkeit unseres Wohlstands von derAusbeutung der Dritten Welt augenfällig. Die Wirtschaftsflüchtlingean den Außengrenzen der Unionsind eine ihrer fatalen Auswirkungen. Wie inzwischenselbst die Weltbank einräumt, gehört aberauch die dadurch bedingte Verarmung zu den wichtigstenUrsachen gewaltsamer Konflikte – die dann“zur Sicherung unseres Wohlstands“ wiederummilitärisch „befriedet“ werden müssen. Ungeachtetdieser Zusammenhänge soll das angeblich vorrangigeZiel der Armutsbeseitigung durch die Integrationaller Länder in die neoliberale Wirtschaftsordnungund den „schrittweisen Abbau internationalerHandelshemmnisse“ erreicht werden. Aus Sicht vonpax christi ist ein schrankenloser Wirtschaftsliberalismusjedoch inakzeptabel. Ebenso problematischsind die Versuche, sich seiner Auswirkungen nachinnen durch Verwischung der Grenzen zwischenMilitär und Polizei zu erwehren und nach außendurch eine Militarisierung des Grenzregimes(Stichwort: FRONTEX) oder durch weiteren Militär-Interventionismus. Aus der Sicht von pax christiist es Aufgabe des EU-Parlaments (und der nationalenParlamente) in der Perspektive einer solidarischenMarktwirtschaft, gerechte Lösungen für diewirtschafts- und sozialpolitischen Verwerfungen zusuchen und dabei alle im Kern menschenverachtendenmilitärischen oder militäraffinen „Lösungen“ zuvermeiden.5. Krisen- und Konfliktmanagement:Das EUParlamenthat sich verschiedentlich, zuletzt mit der Zustimmungzum Bericht vom 5.2.2008, für die Schaffungvon Instrumenten der zivilen Konfliktbearbeitung eingesetzt.Das Stabilitätsinstrument der Kommission mit demZiel der Etablierung einer peacebuilding partnership istein solches Instrument. Auch das vom EU-Parlamentgeforderte Zivile Friedenskorps könnte einer Friedenspolitik,die diesen Namen verdient, den Boden bereiten.Allerdings weist pax christi das dabei im Hintergrundstehende Konzept der zweigleisigen, jedoch immer vommilitärischen Vorgehen dominierten, „zivil-militärischenZusammenarbeit“ zurück. Schon die ungleiche Gewichtungder finanziellen Ausstattung legt nur allzu berechtigteZweifel an echtem Willen zu einer konsequentenOrientierung an gewaltfreier Konfliktbearbeitung nahe.pax christi fordert eine eindeutige Festlegung des nächstenEU-Parlaments auf den Vorrang eines zivilen, gewaltfreienKrisen- und Konfliktmanagements und aufentschiedene, zielsichere Initiativen zum Aufbau vonStrukturen und Verfahren, die von allen gewaltförmigenAnsätzen und Arrangements unabhängig sind.6. Verfassungsprozess:Der Lissabonvertrag hat nurnoch wenige Hürden zu nehmen, ist aber weiterhin demRisiko des Scheiterns ausgesetzt. Voraussichtlich im Juliwird das Bundesverfassungsgericht über mehrere Verfassungsklagengegen den Vertrag entscheiden. Im Herbstsoll die irische Bevölkerung in einem zweiten Referendumdarüber abstimmen. Entgegen anderen Behauptungenhatten die irischen Bürgerinnen und Bürger guteArgumente für ihre ablehnende Haltung, zumal der Lissabonvertragin allen wesentlichen Punkten – nicht zuletztin den hier besonders interessierenden – erklärtermaßenmit dem am Nein der Franzosen und Niederländergescheiterten EU-Verfassungsvertrag übereinstimmt.Doch ganz unabhängig davon müsste die politische Willensbekundungder Iren von Rechts wegen ernst genommenund der Ratifizierungsprozess abgebrochen werden.Das Gegenteil ist bekanntlich der Fall. Der befremdliche,von taktischem Entgegenkommen bis zu öffentlichenDrohungen und Erpressungsversuchen reichende Umgangmit dem irischen Votum seitens mancher EURepräsentanten,unterstreicht nur die Demokratiedefiziteim EU-Getriebe. Jedenfalls zeigt das Scheitern diesesVertragswerks in drei Referenden deutlich genug, dasseine gut informierte Bevölkerung es in seiner jetzigenForm ablehnt. Ein Verfassungsprojekt ist eine so bedeutsameAngelegenheit, dass seine Weiterverfolgung dieumfassende Beteiligung der Zivilgesellschaft erfordert.Das EU-Parlament und die nationalen Parlamente könntenund sollten sich im Falle des schlussendlichen Scheiternsdes obrigkeitlichen Ansatzes als demokratischeForen für eine breite, vorbereitende Diskussion im Rahmeneiner Weiterverfolgung des Projekts „von unten“zur Verfügung stellen. Eine solche Organisation des EUVerfassungsprozesseswürde mit hoher Wahrscheinlichkeitzu einer überzeugenden Verfassung einer glaubwürdigenSozial- und Friedensmacht Europa führen

 

Posted in Europa, Friedenspolitik

Leave a Comment

Please note: Comment moderation is enabled and may delay your comment. There is no need to resubmit your comment.