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Disruptive Abrüstungstechnologie?

Erstellt am 21.06.2021 von Andreas Hermann Landl
Dieser Artikel wurde 4242 mal gelesen und am 21.06.2021 zuletzt geändert.

Das Adjektiv disruptiv bedeutet „etwas Bestehendes auflösend oder zerstörend“. Stehende Armeen auflösen wie es bereits Kant für den Frieden in Europa unabdingbar hielt klingt aus Sicht des rationalen Pazifismus interessant. Mal sehen was die Hüter*innen der Sicherheit in Europa aktuell dazu denken.

20. APRIL 2021 (sic!)

Eine Hochrangige EU-Konferenz diskutierte Auswirkungen aufkommender disruptiver Technologien auf die Rüstungsindustrie Europas

Die Online-Konferenz tage am 20. April 2021. Sie wurde von der Europäischen Verteidigungsagentur und dem portugiesischen Verteidigungsministerium (unter der Schirmherrschaft der derzeitigen portugiesischen EU-Ratspräsidentschaft) gemeinsam veranstaltet. Teilgenommen haben hochrangige
* Vertreter*innen von Verteidigungsministerien
* Rüstungsforschungszentren
* Rüstungsindustrie (SAAB, Porsche, )
* europäischen Institutionen die mit Rüstungsfragen befasst sind
* Vertreter*innen der NATO

Sie diskutierten bestehende und zukünftige Herausforderungen und Chancen im Zusammenhang mit aufkommenden disruptiven Technologien in der Verteidigung behandelt.

Es wird erwartet, dass aufkommende disruptive Technologien (EDTs) wie

„disruptive Auswirkungen“ haben werden auf die „Verteidigung“. Sie „revolutionieren zukünftige militärische Fähigkeiten, Strategien und Operationen“. 

Die Konferenz der Rüstungsagentur (EDA) bot einen umfassenden Blick auf die Rolle der EDA in der europäischen Verteidigungsforschung. Die Konferenzteilnehmenden betonten, wenig überraschend, „die Notwendigkeit für die Mitgliedstaaten und die EU, Investitionen in innovative und bahnbrechende Technologien zu unterstützen und weiter zu steigern, um hochmoderne Verteidigungsfähigkeiten zu unterstützen“.

Die Veranstaltung wurde vom sozialistischen portugiesischen Verteidigungsminister João Gomes Cravinho und dem EDA-Chef Jiří Šedivý eröffnet.  

In seiner Rede betonte Minister Cravinho die Notwendigkeit der Zusammenarbeit und Synergien zwischen zivilen und militärischen Akteuren, um das Beste aus neuen aufkommenden Verteidigungstechnologien herauszuholen: „Wenn es um EDTs geht, müssen wir Synergien zwischen der NATO, der Europäischen Kommission und der EDA stimulieren, indem wir die zivil-militärische Zusammenarbeit und den Dual-Use-Charakter der technologischen Entwicklung nutzen“ , sagte er.

EDA-Chef Šedivý  sagte in seiner Rede,  dass die strategischen und politischen Verteidigungsambitionen der EU nur glaubwürdig sein können, wenn sie durch Technologie und Innovation untermauert werden. 

„Damit die EU ein glaubwürdiger Sicherheitsanbieter und ein vertrauenswürdiger Partner in der Verteidigung sein kann, müssen wir unsere Bemühungen auf die Entwicklung und Beherrschung von Technologien konzentrieren, die ein ernsthaftes Potenzial haben, unsere militärischen Fähigkeiten, Strategien und Operationen zu revolutionieren. Aufstrebende disruptive Technologien wie Künstliche Intelligenz, Quantentechnologien oder Hyperschallwaffen und neue Weltraumtechnologien müssen im Mittelpunkt unserer Fähigkeitsentwicklung stehen“ , sagte er. 

„Disruptive Technologien für disruptive Fähigkeiten“

Dem Eröffnungsteil der Konferenz folgten mehrere Impulsvorträge.

Stephen Quest ist Direktor der Europäischen Kommission bei der Gemeinsamen Forschungsstelle der Europäischen Kommission. Er konzentrierte sich auf das disruptive Potenzial von Technologien an der Schnittstelle zwischen Sicherheit, Verteidigung und Weltraum. Quest sagte, dass die strategische Bedeutung der gegenseitigen Befruchtung zwischen zivil-militärischen Industrien hinter dem Aktionsplan der Europäischen Kommission vom Feber 2021 stehe. Der Plan solle „Synergien und gegenseitige Befruchtung zwischen der Zivil-, Verteidigungs- und Raumfahrtindustrie verbessern“. Der Aktionsplan umfasse drei Prioritäten,

„Erstens, um neue Synergien zwischen EU-Programmen und -Instrumenten aufzubauen, damit disruptive Technologien konkrete Anwendungen in der Zivil-, Verteidigungs- und Raumfahrtindustrie finden können. 

Zweitens, damit Verteidigungs- und Raumfahrttechnologien konkrete zivile Anwendungen finden, die sogenannten „Spin-offs“. 

Und drittens, um die Nutzung ziviler Forschung und Innovationen für neue europäische Verteidigungsprojekte, die sogenannten Spin-Ins, zu erleichtern“ . 

Die Kommission werde bis Oktober 2021 einen Fahrplan für Schlüsseltechnologien für Sicherheit und Verteidigung vorlegen, der Optionen für

(a) die Förderung von Rüstungsforschung, Entwicklung und Innovation und

(b) die Verringerung strategischer Abhängigkeiten in kritischen Technologien und Wertschöpfungsketten in der Rüstung umfasst.

General André Lanata , der Oberste Alliierte Befehlshaber der NATO, sagte, EDTs seien Technologien, deren praktische Anwendung das Potenzial habe, die Art und Weise, wie Militärkräfte operieren, grundlegend zu verändern. Wenn die EU und die NATO die Chancen der EDTs ernsthaft nutzen wollen, müssten sie die Arbeitsweise und das Denken grundlegend ändern. Man brauche „Ressourcen“ (vulgo Steuergeld) und vor allem eine Kulturrevolution„, sagte Lanata. Innovation und EDT böten vielfältige Möglichkeiten für eine fruchtbare Förderung der Zusammenarbeit zwischen der EU und der NATO, fügte er hinzu. 

Petter Bedoire (Chief Technology Officer, Saab Group) verwies auf die Notwendigkeit, sicherzustellen, dass die entwickelten neuen Technologien Chancen statt Bedrohungen schaffen. Es bestehe auch die Herausforderung, eine Balance zwischen den Möglichkeiten disruptiver Technologien und den tatsächlich benötigten Verteidigungsfähigkeiten der Streitkräfte zu finden, sagte er.   

Podiumsdiskussionen

Im Laufe des Tages erlebten die Konferenzteilnehmer drei Podiumsdiskussionen

  1. Disruptive Technologies and the Expected Impact on Defense mit den folgenden Diskussionsteilnehmern:
    * Major General Jorge Côrte-Real Andrade (Nationaler R&T Director Vize Director der Generaldirektion für nationale Verteidigungsressourcen Portugals
    * Jean-François Ripoche, EU Rüstungsagentur – RTI Director
    * Sylvia Kainz-Huber, Leiterin der Generaldirektion Verteidigungsindustrie und Weltraum (DEFIS) der Europäische Kommission
    * MGen Herminio Maio (MPCC-Stabschef)
    * Pablo Gonzales (Vorsitzender der ASD DRDT-Arbeitsgruppe und Direktor NATO & EU-Verteidigungsprogramme, Indra).
  2. Künstliche Intelligenz in der Verteidigung mit einem Meinungsaustausch zwischen den Diskussionsteilnehmern
    * Auke Venema (R&T Director, MoD The Netherlands),
    * Alípio Jorge (Koordinator für die nationale Strategie für KI, Portugal)
    * Jonas Andrulis (CEO Aleph, Alpha GmbH)
    * Anna-Mari Heikkila (VTT Finnland) sowie
    * Panagiotis Kikiras (EDA Head of Unit Innovative Research).
  3. Der dritte, der sich auf autonome Systeme konzentrierte, bestand aus
    * Martin Jõesaar (Leiter des Projektbüros des estnischen Zentrums für Verteidigungsinvestitionen),
    * José Santos Victor (Direktor des Instituto de Sistemas e Robótica, Portugal),
    * Joachim Schaper (Leiter von KI und Big Data bei Porsche),
    * Paolo Arrighi (Chief Technology Officer – Land Armaments and Systems, Leonardo),
    * Mário Martinho (EDA CapTech Ground Systems Moderator).

Die Konferenz wurde von Vasco Hilario (Nationaler Rüstungsdirektor, Portugal) und EDA-RTI-Direktor Jean-François Ripoche geschlossen.

Digitale Rüstungsagentur Ausstellung

Die Konferenzteilnehmer der Europäischen Rüstungsagentur, wie einem Artikel auf deren Website am 20. April 2021 zu entnehmen war, konnten auch eine digitale Ausstellung über die Forschungs- und Technologieaktivitäten der EDA besuchen. Die Ausstellung zeigte „eine Reihe erfolgreicher Kooperationsprojekte“ der Rüstungswirtschaft der Mitgliedstaaten. Natürlich schwadronierte man auch über Disruptive Rüstungstechnologien.

Mehr Informationen

Der Begriff wird vor allem im Zusammenhang mit Innovationen und Forschung verwendet. Eine „disruptive Technologie“ ist eine neu aufgekommene Technik, die eine alte obsolet macht und damit völlig ablöst oder weitestgehend verdrängt. Beispielsweise hat das Auto die Kutsche verdrängt, das Smartphone hat andere Mobiltelefone sowie zahlreiche weitere elektronische Geräte abgelöst und die Digitalkamera hat die Fotofilmindustrie schwer getroffen.

Weiterhin wird disruptiv benutzt, um harte Unterbrechungen in anderen Zusammenhängen zu beschreiben.

Das Adjektiv ist aus dem englischen disruptive (störend oder zerstörerisch) entlehnt und stammt ursprünglich aus dem Lateinischen di(s)rumpere (zerreißen).

 

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