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Offener Brief von Dr. Vladislav Marjanović an Arigona Zogaj

Erstellt am 23.06.2010 von Andreas Hermann Landl
Dieser Artikel wurde 3330 mal gelesen und am 23.06.2010 zuletzt geändert.

>>BLEIBEN SIE HIER, ARIGONA!

Bleiben Sie hier, Arigona, denn Ihr Land ist Österreich. Diejenigen, die die Heimat mit Blut und Boden gleichstellen, lügen. Nicht die Geburt oder die Herkunft der Eltern, sondern das soziale Umfeld in dem man aufwächst bestimmen das Heimatgefühl. Um welches Land es sich dabei handelt ist egal. Es ist eine private Angelegenheit die, wie die Liebe, von niemandem bestimmt werden kann und darf.

Jedem, der ein menschliches Herz hat, ist das klar. Nur diejenigen, die es wegen der Liebe zur Macht getötet und mit Paragraphen ersetzt haben, werden dieses Gefühl nicht berücksichtigen. Menschlichkeit und humanistische Ethik haben für sie in Anbetracht von Vorschriften kein Gewicht.

„Das Recht muss Recht bleiben. Keine Regierung kann akzeptieren, nicht im Einklang mit dem Gesetz zu handeln“, verkündete noch am 13. Jänner 2009 der SPÖ-Bundeskanzler Werner Feymann. Bestimmt. Man darf aber nicht vergessen, dass nach diesem Prinzip auch jene Politiker und Beamte, die Millionen von Menschen (Kinder eingeschlossen) in Konzentrationslager oder Gulags geschickt haben.

Die Krokodilstränen der Machthaber

Lassen Sie sich von den Krokodilstränen der Machthaber nicht täuschen. Alle diejenige, die behaupten, sie wollen eine humane Lösung Ihres Falles, und sich zugunsten eines Bleiberechtes für Sie geäußert haben, empfehlen Ihnen jetzt, freiwillig auszureisen. Der Bundespräsident Heinz Fischer an der Spitze. Zwar hat die oberste moralische Instanz dieses Landes und der überzeugte Sozialist noch zu Weihnachten 2009 den Wunsch geäußert „ die Entscheidungen so zu treffen, dass diese junge Frau nicht des Landes verwiesen wird“. Das hat er einige Monate später sogar wiederholt. Diesmal hat er aber einen kleinen Zusatz zugefügt, nämlich, dass er sich der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes nicht widersetzen wird. Wollte er damit dem negativen Urteil dieses Gerichts über Ihren Fall, das am 12. Juni 2010 verkündet worden ist, das grüne Licht geben? Jedenfalls, kaum dass der Verfassungsgerichtshof seine Entscheidung verlautbart hat, beeilte sich der Bundespräsident zu erklären, dass die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes zu respektieren sind. Dasselbe sagte der SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim während die Nationalratspräsidentin Barbara Prammer, die dieser Partei ebenfalls angehört, hinzufügte: „Es wäre gut, wenn Sie jetzt mit bester Unterstützung Österreichs zurückkehrt.“

Dieser Vorschlag unterscheidet sich keinesfalls von jenem, den Innenministerin Maria Fekter vom rechten Flügel der ÖVP Ihnen empfohlen hat. Sie hat ebenfalls Verständnis für Sie gezeigt. „Mir ist die menschliche Dimension in diesem Fall sehr wohl bewusst“ sagte sie mitleidsvoll um dann ganz barsch zu betonen: „Aber Verfassungsgerichtshoferkenntnisse werden von mir umgesetzt.“ Wann? Das ist vorläufig noch offen. Der Obmann der rechtsradikalen FPÖ Hans-Christian Strache und der Generalsekretär der BZÖ Christian Ebner wollen Sie sofort abschieben lassen. Maria Fekter sagt noch nichts, aber ein Sprecher ihres Ministeriums hat darauf hingewiesen, dass dies so bald wie möglich erfolgen soll. Die SPÖ wird das mit Bedauern betrachten, sich aber doch erleichtert fühlen, Sie nicht mehr im Lande zu haben. Sie sind eigentlich nur ein Hindernis für die kuschelige Beziehung der regierenden SPÖ-ÖVP Koalition, und diese hat Wichtigeres zu tun, als sich mit menschlichen Schicksalen zu beschäftigen. Stalin hat nicht umsonst gesagt: „Ein Mensch – ein Problem. Kein Mensch – kein Problem!“

Das Kuhhandelangebot

Alles soll natürlich sanft erfolgen. Am besten mit Ihrem Einverständnis. Falls Sie auf ihr Angebot, freiwillig Österreich zu verlassen, eingehen werden, dann wird die Kuscheltierchenregierung aus der ganzen Affäre rein gewaschen herauskommen. Auf diese Weise wird sie der ganzen Welt beweisen können, dass sie, in Ihrem Fall, nicht nur gesetzkonform, sondern auch human gehandelt hat. Sie brauchen nur in das Land zurückkehren, wo Sie zwar geboren sind, aber wo Sie weder ein Zuhause, noch die Möglichkeit ein würdiges Leben aufzubauen, erwartet, um eine neue Chance zu ergreifen, in Ihre faktische Heimat (Österreich) legal zurückzukommen. Zum Beispiel als Touristin, oder als Studentin, sogar als Saisonnier oder Sozialdienstleister und, wenn Sie schon so darauf insistieren in Österreich zu bleiben, heiraten Sie einfach einen österreichischen Staatsbürger. Das hat Ihnen Frau Ministerin Fekter bereits am 16. Juni 2010 vorgeschlagen und der berühmte Entertainer Alfons Haider hat Ihnen noch am selben Tag während der Fernsehdiskussion „Am Punkt“ im ATV-Kanal öffentlich einen Heiratsantrag gemacht.

Es gibt immer eine Lösung wenn man kompromissbereit ist. Sie werden die Chance bekommen, legal nach Österreich zurückzureisen, vielleicht auch bleiben können und eventuell sogar die Staatsbürgerschaft bekommen. Die Regierung hingegen wird Ihren Fall vom Tisch haben, das Diskretionsrecht über Ihre Einreise und Aufenthalt in Ihr de facto Heimatland bei sich behalten und eine juristische Präzedenz bekommen, um hunderte von weiteren Arigonas, die ähnliches Schicksal wie Sie haben, aus Österreich zu vertreiben. Wer wird also Gewinner und wer Verlierer bei diesem Kuhhandel? Sie oder die Regierung?

„Eine gottlose Schande“

Sie sind durch das Angebot, das die Regierung Ihnen macht, in jene Lage geraten wie die Figuren aus jener berühmten Karikatur des Karikaturisten Dušan Petričić, auf der zwei Schachspieler abgebildet sind, wobei einer Schachfiguren und der andere einen Revolver auf dem Schachtisch aufgestellt haben. Das scheint auch Ihrem langjährigen Beschützer, dem Pfarrer Josef Friedl klar zu sein. Hat er Ihnen deshalb am 15. Juni 2010 ebenfalls geraten freiwillig auszureisen? Es ist nicht auszuschließen, dass sich der Pfarrer unter politischen Druck befindet weil er, laut seiner eigenen Aussage, noch am 6. Oktober 2007 vom Pressesprecher der ÖVP-Partei Wilhelm Molterer im Auftrag des ÖVP-Generalsekretärs Hannes Missethon angerufen und gefragt wurde, ob er den politischen Konflikt um Ihren Aufenthalt lösen und Sie aufnehmen könne. Dass die ÖVP diese Behauptung prompt dementiert hatte, zeigt wie diese Partei wegen Ihrem Fall nicht nur moralisch, sondern auch politisch betroffen ist. Würden Sie aber diesem Druck nachgeben, dann wäre dies gerade das, was derselbe Pfarrer Friedl am 23. Dezember 2008 in seinem Interview für die Wiener Wochenzeitung „Falter“ gesagt hat, nämlich „eine gottlose Schande“.

Nun, wenn Sie der Aufforderung der Regierung entgegen kommen werden, wird diese „gottlose Schande“ auch auf Sie fallen. Sie werden damit die zwei regierenden Parteien ermutigen, wegen unmenschlichen Gesetzen die Menschenrechte weiter und noch krasser zu verletzen. Man kann nicht erwarten, dass diese Parteien, die die humanen Prinzipien des Sozialismus bzw. der christlichen Werte längst verraten haben, anders handeln. Völlig bewusst, mit einer guten Dose Sadismus gegenüber dem Schwächeren, die für Machthaber so typisch ist, bauen sie eine zweigleisige Gesellschaft aus. Eine für die Promis aus der Welt der Kultur, des Sports oder des Entertainment, von den Geschäftsleuten schon gar nicht zu reden, und eine andere für die gewöhnlichen Sterblichen. Bei den Ersteren wird man die Gesetze leicht umgehen und sie kurzerhand und mit großen Glocken einbürgern. Für die anderen wird man aber das Gesetz auf äußerste Härte und ohne Rücksicht auf humane Umstände anwenden. Nicht nur die Zeitungen in Österreich, sondern auch die größte slowenische Tageszeitung „Delo“ vom 19. Juni 2010 hat darauf hingewiesen. Wären Sie zumindest, wie Ailsar Alibuni, „Germany’s Next Topmodel“, würden die Machthaber wie bei ihr, die, wie die Tageszeitung „Österreich“ am 13. Juni 2010 schrieb, auch illegal nach Österreich gebracht worden war, auf diese „Kleinigkeit“ bestimmt vergessen und Sie auch als „unsere Oberösterreicherin“ betrachten. Sie sind aber leider nur eine bescheidene Schülerin, die das Pech hat, als Kind illegal nach Österreich gebracht zu werden und hier aufzuwachsen, die Teil dieser Gesellschaft geworden ist, aber an die der Staat kollektive Strafmaßnahme anwendet. Wie im NS-Deutschland, wie in der Sowjetunion, wie im maoistischen China oder heutigem Nordkorea, wo für das Vergehen des Vaters alle Mitglieder der Familie, Kinder inklusive, zu büßen hatten und haben.

„Heinz, tu was!“

Falls sie auf den Kuhhandel, der Ihnen seitens der Regierung angeboten wurde, eingehen würden, wäre dies nichts anderes als eine sanfte Abschiebung. Zwar wird es Ihnen theoretisch möglich sein in Österreich wieder legal einzureisen, aber von ihrer faktischen Heimat werden Sie beraubt. Würden Sie es hingegen wagen, den Machthabern Stirn zu bieten, dann riskieren Sie eine gewaltsame Abschiebung (vulgo: Deportation), wo aber die ganze Willkür eines unmenschlichen Systems dann vor aller Welt bloßgestellt wird und zwar drastischer als im Fall von des Nigerianers Marcus Omofuma, der bei seiner gewaltsamer Abschiebung aus Österreich infolge der polizeilichen Misshandlung am 1. Mai 1999 gestorben war. Das Drama eines Kindes, das hier integriert ist, rührt mehr als die Tragödie eines erwachsenen Flüchtlings aus Afrika, und die Medien werden nicht zögern darüber Lärm zu machen. Man darf nicht außer Acht lassen, dass die in Österreich meist gelesene „Kronen Zeitung“ kurz vor dem Tod ihres bisherigen Besitzers Hans Dichand, der für seine Fremdenfeindlichkeit berüchtigt war, sich überraschend für Ihr Bleiben in Österreich eingesetzt hat.

Den Behörden wird diese Situation bestimmt alles anderes als angenehm sein. Ein Teil der österreichischen Öffentlichkeit ist wegen ihrer Haltung Ihnen gegenüber empört. Die Grünen haben eine Petition zu Gunsten Ihres Bleiberechts organisiert und es ist die einzige im Parlament vertretene Partei, die Ihre Sache unterstützt. Auf dem Ruf von „Asyl-in-Not“ haben 29 Organisationen am 18. Juni 2006 eine Protestkundgebung gegen die negative Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes in Ihrem Fall veranstaltet. Obwohl nur etwa 250 Menschen daran teilgenommen haben und die Presse kaum Notiz davon nahm, es ist doch ein Hinweis, dass es in ihrem Heimatland Kräfte gibt, die hinter Ihnen stehen. Die Wut tobt. In seinem Appell hat die Organisation „Asyl-in-Not“ darauf hingewiesen, dass „diesem Akt der Politjustiz eine Hexenjagd rassistischer und sexistischer Elemente gegen Arigona am Beginn dieses Jahres“ vorangegangen war. Schon spaltet sich die regierende SPÖ auf diese Frage. Der steirische Landeshauptmann Franz Voves hat am 15. Juni 2010 Ihre, bzw. die Ausweisung ihrer Familie als „inhuman“ bezeichnet. Die Sozialistische Jugend hat an der Veranstaltung der Protestkundgebung in Wien teilgenommen und ihr Vorsitzender Wolfgang Moitzi hat die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes als beschämend und unwürdig bezeichnet. Der Linzer katholische Bischof Ludwig Schwarz hat sich in der „Kirchenzeitung der Diözese Linz“ für „Gnade vor Recht“ eingesetzt und der Bischof der lutherisch-evangelischer Kirche Michael Bunker sowie der Landessuperintendant Thomas Hennefeld haben am 15. Juni 2010 erneut die Forderung nach einem Bleiberecht für jene „gut integrierte Menschen, die schon jahrelang in Österreich sind“ gestellt und an die Worte des Bundespräsidenten Heinz Fischer, wonach das Recht der Menschlichkeit nicht widersprechen dürfe, erinnert. „Heinz, tu was!“ war auf dem Plakat zu lesen, das die KPÖ Sprecher Didi Zach und der „KP Bezirksrat in spe“ Wolf Jurjans vor dem Präsidentenpalast aufgestellt haben.

Auf zum Kampf

Ob „Heinz“ etwas unternehmen wird ist fraglich. Ob andere Institutionen, die sich für die geistige Umkehr der Gesellschaft einsetzen zu Wort melden würden, ebenfalls. Mit einigen Ausnahmen bleibt die Hierarchie der katholische Kirche stumm. Andere religiöse Gemeinden, mit der Ausnahme von der evangelisch-lutheranische Kirche, ebenfalls. Auch die Intellektuellen schweigen. Man wartet noch immer, ob es zu einer Mobilisierung von Schriftstellern, Künstlern, Universitätsprofessoren, Schullehrern, prominenten Pädagogen und Psychologen für Ihr Bleiben in Österreich kommen wird. Leider gibt es noch immer keine Petition aus ihren Institutionen, keine kollektive Stellungnahme, kein Protest, nichts. Umso lauter werden die Stimmen von rechtsradikalen Elementen und diese zeigen bereits ihre verheerende Wirkung. Die Bewohner von Frankenburg, der Ort, in dem Sie leben, die Sie noch 2007 massiv unterstützt haben, haben sich jetzt größtenteils von Ihnen abgewendet. Die Zeiten sind, leider, schwieriger geworden und in einer Epoche, in dem sich die Zukunftsperspektiven verfinstern, wird das Ohr der Öffentlichkeit auf die Hetzrufe von Rechtsradikalen empfindlicher. Im Handumdrehen können ihre Sympathiegefühle für jemand oder etwas in blinden Hass umgewandelt werden. In den ländlichen Gemeinden vor allem.

Lassen Sie sich dennoch nicht entmutigen. Die Heimat bekommt man nicht auf der Servierplatte, sondern man muss sie sich erkämpfen. Die Zeit für Tränen und Selbstmorddrohungen ist vorbei. Lassen Sie sich nicht als leidendes Objekt behandeln und vor allem lassen Sie sich nicht überreden, freiwillig Österreich zu verlassen. Würden Sie das tun, werden Sie moralisch und persönlich untergehen. Wollen Sie das meiden, dann gehen sie zum Angriff über. Gehen Sie zu den Menschen und Organisationen, die Sie unterstützen, reden Sie, schreiben Sie, organisieren sie mit Ihnen den Widerstand und bleiben Sie standhaft, auch, wenn Sie aus Österreich verbannt werden. Aus der Verbannung kann man auch kämpfen. Kopf hoch und auf in den Kampf. Und vergessen Sie nie: falls Sie doch in Österreich bleiben werden können (was ich Ihnen von Herzen wünsche), das erspart Ihnen nicht den Kampf. Es gibt viele andere Arigonas in diesem (Ihrem) Land. Denken Sie immer daran. Und vergessen Sie nicht: in diesem Kampf werden Sie immer Unterstützung kriegen.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr

Vladislav Marjanović<<

 

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