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„Fair Travel“ in Israel und Palästina

Erstellt am 15.11.2015 von Andreas Hermann Landl
Dieser Artikel wurde 5916 mal gelesen und am 15.11.2015 zuletzt geändert.

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1993 Rishon LeZion, Israel Doves by Eliezer Weishoff

Ursula Burkert gestaltete auf Ö1 ein Ambiente Spezial: „Fair Travel“ in Israel und Palästina. Friedenstiftende Grenzüberschreitungen im Heiligen Land – ein Versuch

Programminfo: http://oe1.orf.at/programm/420424

Am Strand von Tel Aviv – Das Cinema Jenin in Jenin, Westjordanland – FriedenstaubeFriedenssteine – Mauerabschnitte in Israel – Jenin im WestjordanlandNablusSchaf- und Ziegenzuchtstätte im JordantalTaybeh, christliches Dorf im Westjordanland – Tel Aviv boomt – Im Bauhausviertel von Tel AvivWassernot im Ouja-Tal

Noch sind die Bilder von Tel Aviv, von der trendigen Großstadt westlichen Zuschnitts im Kopf: die von Flaneuren, Matkot-Spielern und Joggern bevölkerte Strandpromenade, die Straßencafés voll mit Sonntagsausflüglern, die Techno-Musikbeschallten Plätze, das weiche Abendlicht über dem Mittelmeer. Von Tel Aviv aus geht es in Richtung Nordosten: zunächst nach Nablus und Jenin, später nach Jericho, Taybeh, Battir und Bethlehem.

Die malerisch liegende Stadt Nablus erlangte während der zweiten Intifada traurige Berühmtheit als Hochburg der Al-Aqsa-Brigaden, der palästinensischen Selbstmordattentäter. Hier in den von der UNWRA, dem Hilfswerk der Vereinten Nationen, erschlossenen Flüchtlingslagern leben Zehntausende Menschen seit vielen Jahrzehnten – seit sie 1948 bei der Gründung Israels vertrieben wurden. Im Lager Balata hausen auf engstem Raum bereits ihre Kinder und Enkel in einem Dauerprovisorium: in schlecht verputzten, eng ineinander geschachtelten Betonbauten, die nicht erdbebensicher und bar jeden Komforts sind. Im Winter ist es kalt, im Sommer brennend heiß in diesen Wohnschachteln aus billigsten Materialien. Kein Wunder, dass hier der Widerstand gegen die israelische Besatzung brodelt.

Die anfangs flache Landschaft wird hügeliger. Man sieht immer mehr Olivenhaine – die silbrig-grünen Baumreihen ziehen sich die sanften Hänge hinauf. „Cham Sin“, ein Schleier aus gelbem Sand, der sich über alles legt, kündigt einen Wetterumschwung an. „Biblische Landschaft“ – diese Überschrift drängt sich zu diesem Bild auf.
Ein Kino für Jenin

Ähnlich wie Nablus war Jenin eine Hochburg des palästinensischen Widerstandes, die viele Attentäter nach Israel schickte. Das angeschlossene Flüchtlingslager wurde bei einer blutigen Auseinandersetzung im Jahr 2002 mit der israelischen Armee beinah völlig zerstört. An diesem Tag ist es ruhig in Jenin, man sieht keine israelischen Soldaten, auf den Staßen sind einkaufende Menschen unterwegs – Jenin ist wieder eine sichere Stadt geworden, heißt es. Auch der Kultur kommt wieder ein Platz zu.
Lamei Asir betreibt das Kulturzentrum Cinema Jenin

„Das Kino war erfolgreich in Betrieb bis zur ersten Intifada 1987. Dann wurde das Kino geschlossen, so wie die anderen Kinos in Nablus, Ramalla und Ost-Israel – aus Sicherheitsgründen oder aus politischen Gründen. Bis 2008, d. h. 21 Jahre lang, blieb das Kino geschlossen.

Lamei Asir

heißt im Kinosaal des Cinema Jenin willkommen. Das erste Kino in der Region wurde im Jahr 1958 von seinem Vater gebaut – zu einer Zeit als Palästina noch von Jordanien besetzt war. Der Filmemacher Marcus Vetter, der den Film „Heart of Jenin“ gedreht hatte, organisierte mit Geldern vom deutschen Auswärtigen Amt und Spenden prominenter Künstler den Wiederaufbau des Kinos – mit nicht ganz einer Million Euro. Er sorgte für das nötige Equipment für den Kinobetrieb und schloss mit Lamei Asir und den anderen Teilhabern einen Vertrag ab. Nach zehn Jahren, in welchen das Kino von einer deutschen Trägergesellschaft geführt wird, wird es wieder komplett in den Besitz seiner ursprünglichen palästinensischen Besitzer übergehen.
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Öko-Projekt in Ouja

Im kleinen Ort Ouja in der Nähe von Jericho betreibt die Umweltorganisation „Friends of the Earth Middle-East“ eines ihrer vielen Öko-Projekt. „Friends of the Earth Middle-East“ ist eine Organisation, welche die israelisch-palästinensisch-jordanische Kooperation in Bezug auf Umwelterziehung fördert. Wichtiges Thema ist die Wasserversorgung entlang des Jordan-Grabens. Die Region leidet unter Wassermangel, durch Stauseen und andere Maßnahmen in Israel und Jordanien sinkt der Grundwasserspiegel stetig, Quellen vertrocknen, die Bewässerung der Felder ist gefährdet, die palästinensischen Bauern müssen umsatteln.

Das Leben ist hart in Ouja, da ist offensichtlich: Die Landschaft wirkt ausgedörrt, die Ziegen müssen an vertrockneten Halmen knabbern. Da ist es nicht leicht, seine Familie durchzubringen, meint Mohammed Saahida. Der wirtschaftliche und politische Druck wächst.
Mohammed Saahida, palästinensisches Mitglied der Umweltorganisation „Friends of the Earth Middle East“

„Oft fragen die Touristen, was wir brauchen, und denken dabei an Wasserprojekte oder Ähnliches. Aber was wir wirklich brauchen ist, dass Menschen, die hier unsere Lebensumstände gesehen haben, in ihren Ländern so manche Missverständnisse auflösen. Wir sind Palästinenser und menschliche Wesen.“

Mohammed Saahida

Mehr als 5.000 Jahre alt soll der kleine Ort Battir sein, Funde im kleinen Museum deuten darauf hin. Das Dorf hat sich vorbildlich der Nachhaltigkeit verschrieben und als Öko-Tourismus-Destination prädestiniert: Es liegt in einer sehr alten Kulturlandschaft, die bislang von den Dorfbewohnern mit Umsicht erhalten wurde. Gluckernd bahnt sich das Wasser über steinerne Rinnen zu den kleinen Feldern. Hier wachsen Kohl, Okra, Minze, die berühmten Auberginen von Battir und Bohnen. Während im ganzen Land Wasserknappheit herrscht, versorgt ein traditionelles Kanalsystem die terrassierten Felder von Battir seit Jahrhunderten ausreichend mit Wasser.
Kibbuz Ze’elim als Oase in der Wüste

Die „Fair-Travel“ Gruppe macht inmitten einer Plantagenlandschaft mit weitläufigen Gemüsefeldern und Obstbäumen halt. Kaum zu glauben, dass man sich hier am Rand einer Halbwüste befindet, die israelischen Wasserexperten haben ganze Arbeit geleistet – und auch die ersten Kibbuzniks, die das Land südwestlich der Stadt Be’er Sheva vor mehr als 60 Jahren urbar gemacht haben: Im Jahr 1949 gründete eine Gruppe junger Holocaust-Überlebenden den Kibbuz Ze’elim. Damals war hier nichts, nur Sand und Steine.

Heute ist der Kibbuz Ze’elim eine Oase, wie Sie im Bilderbuch der Kibbuz-Bewegung steht – Fächerpalmen und Obstbäume, gepflegter Rasen und blühende Hecken. Rund um einige Gemeinschaftsgebäude mit Speisesaal und Veranstaltungshalle gruppieren sich flache ansprechende Bungalows mit Terrassen von Bäumen beschattet. Der Kibbuz Ze’elim liegt nicht weit von der Staadt Be’er Sheva, die durch Abrahams Quelle Bekanntheit erlangt hat. Das heiße, mineralhaltiges Wasser aus den fossilen unterirdischen Vorkommen wird heute im Thermalbad, das dem Kibbuz angeschlossen ist, genützt. Den Grundstein für viele moderne Entwicklungen legten schon die Kibbuz-Gründer.

Im Kibbuz Ze’elim wird nach wie vor Landwirtschaft betrieben, eine Kibbuz-eigene Molkerei stellt Käse her und zurzeit wird am Aufbau einer Abfall-Wiederverwertungsanlage gearbeitet. Tourismus wird ein immer wichtigerer Wirtschaftszweig der Kooperative. Das Thermalbad mit Wellnessbereich, ein großes Beduinen-Zelt, der Campingplatz und die 33 Gästezimmer sind vor allem an den Wochenenden meist ausgebucht. Von hier aus sind geführte Wanderungen in die Wüste Negev möglich. Familien nützen gerne das Angebot von sogenannten „field-trips“ auf die Äcker und Plantagen, um den Kindern zu zeigen, wie Landwirtschaft funktioniert. Anfangs musste allerdings ziemliche Überzeugungsarbeit für die touristische Nutzung des Kibbuz‘ geleistet werden.
Friedensaktivisten nahe beim Gaza-Streifen

Immer wieder sind im luftigen Restaurant, wo das Abendessen eingenommen wird, bedrohliche Geräusche vom Truppenübungsplatz zu hören. Damit schiebt sich die andere Seite der israelischen Realität in den Vordergrund. Der Kibbuz Ze’elim ist in Luftlinie nicht einmal 20 Kilometer vom Gaza-Streifen entfernt, von jenem palästinensischen Autonomiegebiet, das seit dem Jahr 2007 von der radikal-islamistischen Hamas kontrolliert wird. Das ist keine einfache Alltagssituation.

Am nächsten Tag kommt es zu einer weiteren Begegnung: die Friedensaktivistin Roni Keidar begrüßt die „Fair-Travel“-Gruppe in ihrem Haus in dem Moshav Netiv Ha’asara. Der Name des Dorfs bedeutet „Der Weg der Zehn“ und gemeint sind damit zehn junge Soldaten, die bei einem Hubschrauber-Absturz im nördlichen Sinai umgekommen sind und zwar ganz in der Nähe jenes Ortes, den Roni Keidar und einige andere jüdische Familien nach dem Sechs-Tage-Krieg aufgebaut hatten. Und zwar in einer Pufferzone zwischen Israel und Ägypten, die später im Zuge der Friedensverhandlungen wieder an Ägypten zurückgegeben wurde. Daher mussten die israelischen Familien einen neuen Ort suchen, gefunden haben sie ihn an der nördlichen Grenze zum Gazastreifen, in einer – wie die jüngsten Ereignisse zeigen – sehr schwierigen Lage mit Blick auf Mauern, Stacheldraht und Wachtürme.
Roni Keidar, israelische Friedensaktivistin

„Wir sind alle Nachbarn, keine Feinde. Wir sind alle einig, dass Gewalt nicht die einzige Antwort sein kann. Wir müssen beginnen, miteinander zu reden. Wir müssen die Grenzen öffnen, damit wir miteinander reden können.“

Roni Keidar

Ganz still wird es in dem kleinen Wohnzimmer von Roni Keidar, wenn sie erzählt. Regelmäßig lädt die schon grau gewordene alte Dame – sie ist übrigens Großmutter von 16 Enkeln – Gruppen zu sich nach Hause ein. Sie versucht die Strategie der Friedensaktivisten von „The Other Voice“ zu erklären: Miteinander zu sprechen ist die einzige Chance, meint sie, vielleicht einmal den gordischen Knoten, der Palästina umschlossen hält. zu lösen.
Gestaltung: Ursula Burkert

 

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